27.07. – 04.08.2012 Kapadokya – Trabzon (Schwarzes Meer) 541 km

 

Sonja:

Eine Woche nach meinem Unfall ging mir der Stillstand und das Ausruhen doch so langsam auf die Nerven. Ich wollte wieder rauf aufs Fahrrad und fühlte mich trotz der Fäden, die noch eine weitere Woche bleiben sollten, auch wieder ausreichend fit dafür. Auf unserem Weg raus aus Kapadokya Richtung Kayseri durchs brennend heiße Zentralanatolien war nun allerdings Olli an der Reihe gesundheitlich zu schwächeln. Nach einem Tag Radeln bei 48°C Hitze hatte er eine sehr unruhige Nacht und ist morgens aufgewacht mit Übelkeit, Kopfschmerzen, Gliederschmerzen, Verdauungsstörungen und Schwindel.  Wir sollten wohl doch lieber etwas vorsichtiger sein mit Radeln in der Mittagshitze und mehr Pausen einlegen im Schatten. Nachdem er sich nichts desto trotz noch 17 km weit geschleppt hatte, gings allerdings gar nicht mehr weiter. Olli hat sich total fertig in eine Bushalte gelegt und ich bin allein losgezogen, um kühles Wasser und einen schattigen, ruhigen Zeltplatz zu organisieren. Dort hat Olli den restlichen Tag und die ganze Nacht geschlafen, um dann am nächsten Tag wieder einigermaßen einsatzbereit zu sein.

Als dann am Folgetag nach 60 km Radeln ein junger kurdischer Erntehelfer mit seinem Traktor plus 2 überdachte Anhänger neben uns hielt und uns anbot, uns ein Stück mitzunehmen, haben wir dies sofort begeistert angenommen. Räder und Taschen kamen in den hinteren Wagen, wir in den vorderen, wo wir ganz schön eingestaubt und durchgeschüttelt wurden bei 30 – 40 km/h auf der sehr holprigen Fahrbahn. So nach und nach kamen noch weitere kurdische Erntehelfer mit 2 Traktoren, Mähdrescher und Pickup dazu. Ich sag euch, sowas muss man mal miterlebt haben. Das war ein echt turbulenter Roadtrip mit den Jungs, der erst nach gut 100 km nach mehrmaligem Verfahren um 10 Uhr abends an einer Tankstelle mitten im Nirgendwo außerhalb von Sivas endete. Dort hieß es dann für uns völlig unerwartet: „Hier übernachten wir. Ihr dürft mit in unserem Anhänger schlafen und morgen geht’s weiter.“ Nachdem sie uns Abendessen spendiert hatten, hat Olli allerdings mit dem Gaststättenwirt vereinbart, dass wir hinter seinem kleinen Lokal zelten dürfen. Die Männer hatten zwar bedenken, dass es mich da bestimmt frieren wird im Zelt, aber ich hab ihnen versichert, dass Olli mich schon wärmt :)

Nach dem gemeinsamen Frühstück am nächsten Morgen haben wir uns verabschiedet, da unsere Route leider in eine andere Richtung weiter führte. So langsam wurde es nun immer bergiger, und es ging einem Pass von 2000 m entgegen. Der arme Olli, der leider immer noch nicht 100 %ig wieder betriebsfähig war, musste sich ganz schön abquälen. Bei mir ging das Bergfahren allerdings immer besser. So langsam merkt man echt wie Kraft und Kondition steigen und das trotz Hitze. Unterwegs wurden wir von den gastfreundlichen Türken auch wieder sehr gut mit gratis Obst, Gemüse, Tee, Wasser und Brot versorgt. Auf 1800 m Höhe haben wir unser bisher höchstgelegenes Camp auf einer Alm aufgeschlagen, wo wir bis zum Sonnenuntergang nach und nach von diversen Kuhhirten und Bauern belagert und willkommen geheißen wurden mit dem fürsorglichen Hinweis auf die nächste Wasserstelle. Zum ersten mal wurden wir nicht nach Facebook und Co gefragt, da es in so abgelegenen Dörfern noch kein Internet gibt. Sehr angenehm ist uns bereits ab dieser Höhe aufgefallen, dass es nicht mehr so heiß ist.

Bei der Abfahrt wurde es dann aber leider mit jedem verlorenen Höhenmeter wieder heißer. Wieder in etwas tieferen Lagen an einem Stausee angekommen, wollten wir uns ein gemütliches, ruhiges Plätzchen zum Fädenziehen suchen. Doch schon bevor wir zum Zeltaufbau kamen, haben uns zwei besorgte Jandarma gelöchert, ob wir auch ja genug Wasser, Essen und Mückenschutz dabei hätten und haben uns den Weg zum nächsten Dorf beschrieben. Wenig später gesellte sich beim Zeltaufbau ein interessierter Bauer zu uns, gefolgt von einem jüngeren, die uns gespannt beim Aufbauen beobachtet haben. Wir wollten sie gleich zum Tee einladen, aber wegen Ramadan haben sie dankend abgelehnt. Wir haben uns dann sehr gut mit ihnen über zwei Stunden unterhalten und schließlich haben sie uns noch Brot und selbstgemachten Ayran gebracht. Erst kurz vor Sonnenuntergang haben sie sich verabschiedet, um zum Essen heim zu gehen. Endlich konnten wir mit unserer geplanten kleinen „Operation“ mitten auf dem Feld mit Stirnlampe, Pinzette und Nagelschere bewaffnet beginnen, wobei wir immer wieder Mückenattacken abwehren mussten. Schwester Olli hat dabei sehr gute Arbeit geleistet. Meine Wunde ist außerdem super verheilt. Vielen Dank nochmal an meinen tollen Arzt Burak aus Nevsehir.

Olli:

Der nächste Tag hätte uns fast wahnsinnig gemacht und hat ganz schön an unseren Kräften gezehrt. Es ging immer wieder rauf und runter. Kaum hat man mal 100 – 200 Höhenmeter gut gemacht, geht’s auch schon wieder bergab. Bergabfahren ist zwar eigentlich was Schönes, aber nicht, wenn man auf einen Pass mit 2200 m zusteuert und das Gefühl hat, einfach nicht höher zu kommen. Am Folgetag war es dann allerdings so weit. Auf 1200 m Höhe haben wir Frühmorgens begonnen, uns ab Sebinkarahisar erst durch eine eindrucksvolle, felsige Schlucht und dann steile Serpentinen hoch dem höchsten Punkt vor unserer Abfahrt zum Schwarzen Meer entgegen zu schrauben. Sonja hätte mich fast geschlagen, als ich 3 mal das Angebot von Vorbeifahrenden abgelehnt habe, uns mit hoch zu nehmen, u.a. von dem Fahrer eines leeren Luxusbusses mit Klimaanlage. Ich wollte das unbedingt aus eigener Kraft schaffen. Schließlich ohne Hilfe am höchsten Punkt angekommen war es schön windig, kühl und die wüstenartige, trockene Landschaft hat sich plötzlich in ein vegetationsreiches, grünes Paradies verwandelt. Wir waren beide schon recht abgekämpft und haben die belohnende Abfahrt sehr genossen, die durch eine stark bewaldete Schlucht – erinnerte uns sehr an den Bayrischen Wald - 90 km bergab bis zum Meer führt. Auf halber Strecke habe ich aber ganz schön geflucht, da es plötzlich nochmal recht bergauf geht, was mich in dem Moment wahnsinnig genervt hat, und ich habe mir geschworen, beim nächsten mal das Angebot einer gratis Mitfahrgelegenheit nicht mehr auszuschlagen.

Bei der verzweifelten Zeltplatzsuche in dieser engen, bewaldeten Schlucht, wo links und rechts von der Straße fast kein freies Fleckchen ist, wurde ein Herr auf uns aufmerksam, der gerade an der Straße vor seinem Grundstück stand. Er hat uns gleich heran gewunken und uns spontan in seinem Garten zelten lassen zwischen Tomaten und Bananenstauden, Dusche im Haus inklusive. Ganz fasziniert haben er, seine Frau und sein Sohn beim Zeltaufbau zugesehen. So etwas exotisches sieht man hier wohl eher selten. Noch vor Sonnenuntergang wurden wir dazu gedrängt, Suppe, gefüllte Weinblätter, Salat und Auberginengemüse zu essen, obwohl wir eigentlich höflicherweise warten wollten bis alle essen. Die Nacht hier fast auf Meereshöhe war erdrückend schwül.

Sonja:

Ich konnte fast nicht schlafen, und nun gingen bei mir ähnliche Symptome los wie bei Olli eine Woche zuvor: Ich hatte mit Bauchschmerzen, Durchfall, Übelkeit und Schweißausbrüchen zu kämpfen. Ich hätte mir wohl lieber keine halb vergammelten Erdbeeren oben auf dem Berg kaufen sollen als Belohnung für die Strapazen ;) Nach Ausschlafen und Frühstück fühlte ich mich dann aber wieder einigermaßen, und wir machten uns mit unseren Abschiedsgeschenken, Kopftuch und Fez, auf den Weg zum lange ersehnten Meer, das wir schließlich bei Giresun erreichten. Ich fühlte mich gar nicht gut und hatte in der schwülen Hitze mit heftigen Schweißausbrüchen zu kämpfen. Bei einem kurzen Stopp kam sogar eine verrückte Alte mit einem Geschirrtuch angerannt, um mir fürsorglich Gesicht und Hals abzuwischen. Zumindest ist es die Küste entlang schön flach und man kommt per Rad gut auf dem Seitenstreifen der zweispurigen Fahrbahn voran. Die erste Nacht am Meer haben wir direkt am Strand gezeltet, wo uns ein junger Mann eindrücklich vor vermeintlichen Schlangen gewarnt hat. Das und die Tatsache, dass ich die ganze Nacht Durchfall hatte, haben mir den Strandaufenthalt aber ganz schön verdorben. Hundeelend, saumüde und unfähig, etwas zu essen, habe ich mich am nächsten Tag unter Ollis Aufmunterungsversuchen und reichlich Flüssigkeitszufuhr die restlichen 80 km nach Trabzon geschleppt, wo wir mehrere Tage Erholung eingeplant hatten. Aber alles kam mal wieder ganz anders als geplant…

 

 

<- zurück zum vorherigen Bericht   ---   weiter zum nächsten Bericht ->

7237 km Gästebuch