06. – 27.11.2012 Mangalore & Kannur

Erste Eindrücke aus dem Land der heiligen Kühe und des Curry

 

Unser Empfang in Indien war sehr warm im doppelten Sinne: Zum einen haben uns nach dem kühlen Usbekistan tropische Temperaturen willkommen geheißen, zum anderen haben die Inder eine ganz andere Mentalität als die zurückhaltenden Usbeken, und alle haben uns lächelnd und hilfsbereit am Flughafen mit unseren Rädern geholfen. Endlich wieder in einem Land, in dem man Englisch spricht. Um unseren Zielort Mangalore zu erreichen, mussten wir zweimal mit unseren Unmengen an Gepäck plus Räder auf den riesigen Flughäfen Delhi und Mumbai umsteigen, was aber dank der netten Flughafenangestellten viel stressfreier und problemloser war als erwartet. Unsere Fahrräder haben die Flüge sehr gut überstanden, bis auf 2 kleine Risse in Ollis Sattel.

Bei unserer Landung in Mangalore wurden wir von 30°C schwüler Hitze, einem Meer von Palmen und unserer indischen Freundin Reema herzlichst in Empfang genommen. Schnell waren wir von gut 20 Indern umringt, die alle helfen wollten, unser Gepäck und unsere Drahtesel in und aufs Taxi zu laden, natürlich mit der anschließenden Bitte um ein paar Rupien. Auf der holprigen Fahrt zu unserer neuen Bleibe waren wir sofort von den vielen neuen Eindrücken überwältigt. Auf den schlaglochreichen Straßen wimmelt es nur so von Rikschas, Bussen, Motorrädern, Lastwagen, Autos und Fahrrädern, die sich alle im Linksverkehr völlig chaotisch und wild hupend kreuz und quer durch die Straßen schlängeln vorbei an wilden Hunden und Kühen. Am Straßenrand wuseln bunt gekleidete Menschen wie Ameisen zwischen Läden und Verkaufsständen hin und her. An jeder Straßenecke werden frische und total leckere Bananen, Orangen und Kokosnüsse verkauft. Staub, Abgase, Gestank vom Müll am Straßenrand und exotischer Blumenduft steigen einem gleichzeitig in variierendem Mischungsverhältnis in die Nase.

In den folgenden Tagen waren wir hauptsächlich damit beschäftigt, uns an die völlig ungewohnte Umgebung, Kultur und das Klima zu gewöhnen. Eine unserer neuen Lieblingsbeschäftigungen wurde, ausgiebig das indische Essen zu testen. Vegetarische Restaurants findet man an jeder Straßenecke mit total leckerem, teilweise unglaublich scharfem und spottbilligem Essen. Auch das indische Bier ist ganz OK, aber von Leitungswasser lässt man lieber die Finger, wenn man nicht die nächsten Tage auf der Toilette verbringen möchte, außer man filtert und kocht es ab. Trotz großer Vorsicht, mussten wir dennoch beide mehrere Tage Durchfall über uns ergehen lassen. Unser zweites neues Hobby wurde Klamottenkaufen. Wir waren sofort begeistert von der farbenfrohen traditionellen indischen Kleidung und haben uns begeistert für diverse anstehende Festlichkeiten in Reemas Familie mit Kleidung und Schuhen eingedeckt. Des Weiteren haben wir den Horden von Ameisen, Moskitos und Kakerlaken überall den Kampf angesagt und uns mit den nötigen Chemikalien ausgerüstet.

Dank Reemas Hilfe haben wir uns recht schnell akklimatisiert und angepasst und der kulturelle Schock war nicht allzu groß. Um uns kulturell auf Indien einzustellen, haben wir diverse Hindutempel (u.a. Kadri-Manjunath-Tempel) und auch christliche Kirchen (u.a. St. Aloysius Kapelle) in Mangalore besichtigt, unseren ersten Bollywoodfilm auf Hindi (3 Idiots) geschaut und beim Karaoke indischer Musik gelauscht. Kulturelles Highlight war es, in traditioneller Kleidung wie Kurta und Sari und mit Mehndi (Henna) an den Armen und Händen verziert, diverse indisch-katholische Feierlichkeiten wie Verlobung, Junggesellenabschied (Roce) und Hochzeit in einer indischen Großfamilie mitzuerleben, die völlig anders als in Deutschland zelebriert werden. Die Verlobungsfeier mit ca. 200 Gästen war schon fast wie eine Hochzeit mit Zeremonie, Essen, Musik und Tanz. Beim Junggesellenabschied des Bräutigams mit 600 Gästen durften wir erleben, wie jeder dem Bräutigam zur Reinigung und Vorbereitung auf die Hochzeit Kokosmilch über den Kopf kippen darf, woran ich mich begeistert beteiligt habe. Bei der Hochzeit selbst wird abends zur Kirche gegangen, mit weißem Brautkleid wie in Europa, und danach findet ein Empfang mit an die 1000 Gästen statt, wo die Braut dann in ihren Hochzeitssari wechselt, das Brautpaar den Kuchen anschneidet, den ersten Tanz zusammen tanzt und nach mehreren kurzen Ansprachen stundenlang Fotos zusammen mit sämtlichen Verwandten schießen lassen muss und die Gratulationen sämtlicher 1000 Gäste entgegen nehmen muss. Für die Gäste gibt es natürlich wieder reichlich leckeres Essen, aber keinen Alkohol. Wir haben neugierig die Geschehnisse beobachtet, lecker gegessen und die ganze Zeit darauf gewartet, dass endlich der offizielle Teil zu Ende ist und die Party mit Tanz und Musik beginnt, aber um halb 11 abends wurden plötzlich die Lichter ausgemacht, die Band hat aufgehört zu spielen und es wurde das Ende der Feier verkündet. Was? Schon? Nicht wie in Deutschland, wo von morgens bis spät abends gefeiert wird. Dennoch vielen Dank an das Brautpaar Anvina und Amish für die Einladung und noch einmal unseren herzlichen Glückwunsch!

Um das indische Gesundheitssystem näher kennenzulernen, da wir ja beide in medizinischen Bereichen arbeiten, haben uns die netten Krankenschwestern des Father Muller Hospitals in Mangalore, das vor über 100 Jahren von einem deutschen Homöopathen gegründet wurde, mehrere Stunden durch sämtliche Bereiche des Komplexes geführt wie u.a. Leprastation, Suchtstation, Psychiatrie und Krankenhausapotheke. Wie alles in Indien ein krasser Gegensatz zu deutschen Verhältnissen und sehr beeindruckend, wie hier mit teilweise einfachsten Mitteln gearbeitet und improvisiert wird.

Um uns körperlich und mental von den Strapazen der letzten Wochen zu erholen, haben wir uns bei Massage, Peeling und Dampfbad verwöhnen lassen und allmorgendlich 1 Stunde Yoga praktiziert. Wir waren beide total eingerostet, aber es ist unglaublich, wie schnell man sich bei täglichem Üben verbessert. Des Weiteren haben wir uns beim Zahnarzt und Friseur generalüberholen lassen. Um der städtischen Hektik zu entfliehen, haben wir außerdem ein paar ruhige Tage an einem wunderschönen Privatstrand (Waves Beach Resort) in Kannur, Kerala verbracht, wo man fern der Touristenzentren das warme Wasser der Arabischen See genießen und in der Hängematte unter den Palmen liegend der Brandung lauschen kann. Meldungen von daheim über Frost und Schnee kommen einem hier unwirklich und ganz weit weg vor. Hier konnten wir außerdem zum ersten mal hautnah bei Privatleuten zu Hause einer sehr beeindruckenden und farbenfrohen Hinduzeremonie namens Theyyam beiwohnen, bei der ein  aufwändig als Gottheit verkleideter Priester schier endlos zu ekstatischem und ohrenbetäubendem Trommeln tanzt und dabei mit bunten Blütenblättern, Feuer und Opfergaben wie Reis und Kokos hantiert. Ein sehr beeindruckendes und ungewöhnliches Spektakel!

Die ganze Zeit über haben wir sehr ungeduldig auf unsere Ersatzteilpakete aus Deutschland gewartet, da es in Indien sehr schwer ist, an hochwertige Teile zu kommen. Ende Oktober wurde alles aus Deutschland losgeschickt und ein Paket kam auch nach knapp 2 Wochen an, mit den weniger wichtigen Teilen darin, aber das zweite, wichtigere, mit Ollis neuer Felge, war bis Mitte Dezember verschollen. In diesen Wochen des Wartens sind wir für kleine Distanzen auf Rikschas und für längere Fahrten auf Busse und Züge umgestiegen, was meist sehr billig und angenehm ist. Nachtfahrten im Liegebus sind allerdings etwas gewöhnungsbedürftig, da man dank der schlechten Straßen ganz schön durchgeschüttelt wird. Mir (Sonja) war beim ersten mal die ganze Nacht kotzübel und ich konnte nicht schlafen. Stellt euch vor, ihr sitzt bzw. liegt in einer Achterbahn und sollt dabei schlafen. Als dann endlich unser Paket wieder aufgetaucht ist, bekamen wir die unangenehme Nachricht, dass man auf Fahrradteile 40 % Steuern zahlen muss in Indien! Nach ein bisschen Jammern hat uns der sehr freundliche Postbeamte, der selbst Fahrradfan ist, schließlich die Steuern erlassen, nachdem wir eine Erklärung unterschrieben haben, dass wir den Inhalt privat und nicht kommerziell nutzen. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir uns aber schon so richtig an das Backpackerleben gewöhnt und wir haben uns große Rucksäcke besorgt. Außerdem hat uns der chaotische Verkehr allerorts etwas eingeschüchtert und zelten ist ebenfalls nicht besonders ratsam in Indien wegen der dichten Besiedelung und den gefährlichen Tieren, die nachts durch den Wald schleichen. So haben wir letztendlich den Entschluss gefasst, weiterhin mit Rucksack per Bus und Bahn zu reisen und eine Auszeit vom Radeln zu nehmen.

Zum Abschluss unseres ersten Berichtes aus Indien hier noch ein lustiges aber sehr anschauliches Video auf Englisch wie man eine indische Toilette benutzt:

 

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